Wenn es zum Leben nicht mehr reicht

Wir Käufer sind schuld

Ich als Kundenberater treffe immer wieder in meinen Beratungen Menschen an, die mir erzählen, wie sie und an was sie sparen. Sie würden meist in Deutschland oder in Frankreich einkaufen, da dort vieles sehr viel billiger sei. Dabei sind es nicht nur Lebensmittel, sondern alles was sie zum täglichen Bedarf bräuchten. So werden auch Handwerkertätigkeiten oftmals in den Nachtbars Ländern eingekauft. Ich kann dies bestätigen. Selbst viele aus meinem Bekanntenkreis, – die sehr gut verdienen – kaufen mehrheitlich ihre Waren und Dienstleistungen bei unseren Nachbarn ein, statt in unserem Land.

Als heutiger Kundenberater

Wir alle sind nicht nur Beschäftige, nein wir sind auch Konsumenten. Nicht erst seit Corona kaufen wir gern bequem und billig ein und interessieren uns nicht, wie die Preise zustande kommen. Wir wollen unser Gewissen damit nicht belasten, dass wir mit unserem Verhalten kräftig mit an der (unserer) Salärspirale am Arbeitsmarkt drehen, die sich stetig und scheinbar unaufhaltsam nach unten schraubt.

Ein Argument was ich höre ist, dass wir einfach so billig wie möglich einkaufen, egal ob Lebensmittel, Kleider, Schuhe oder Möbel, weil sie selbst nicht genug Geld zur Verfügung haben oder die Preise völlig überteuert sind. Wer wie sie am unteren Rand der Gesellschaft lebt, der hat einfach keine Alternative. 

Unser Verhalten

Wir sind ständig von Aufgaben getrieben, ob im Beruf oder privat die sofort erledigt werden sollen, was bei vielen dazu führt, dass sie ihr Leben mehr und mehr pragmatisch angehen. Alle Aufgaben die Tag für Tag anfallen, mit so wenig Aufwand wie möglich erledigen. Praktischerweise können wir meistens bis 22.00 Uhr einkaufen gehen, denn das Salär für die Verkäufer und Verkäuferinnen ist so, dass die Betreiber der Läden sich solche Öffnungszeiten leisten können. Das gilt auch für die Läden im Flughafen, am Bahnhof oder in den Tankstellen, wo müde Angestellte lustlos die Waren über den Scanner ziehen. Sind wir selbst zu müde oder zu faul selbst den Kochlöffel zu schwingen, lassen wir uns das Essen vom Kurier bringen. Die Liefergebühr und das Essen kostet uns nicht die Welt. Was viele nicht sehen, dass wir immer weniger Essen für unser Geld bekommen. Die Portionen werden kleiner und die Qualität der Waren nimmt ab.

Inzwischen funktioniert bei vielen der Alltag nur noch, weil es so viele billige Angebote und Menschen gibt, die für wenig Geld arbeiten.

Bedenkliche Entwicklung

Unser Leben funktioniert oft nur noch auf diese Art und Weise, dass wir billig einkaufen und dass es immer mehr günstige Arbeitskräfte gibt. Wie gefährlich dieses Konsumverhalten ist, scheint vielen nicht wirklich bewusst zu sein, und das nicht nur für die vielen billigen Arbeitskräfte, sondern auch für uns Konsumenten selbst.

Ich beobachte nun diese Entwicklung seit 2011 und sehe mehr und mehr Firmen, in denen vieles verkehrt läuft. In Banken, Versicherungen, Logistiker, Hotels, Bekleidungsketten und vielen anderen, verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen von Jahr zu Jahr. Zunehmens verfestigt sich meine Wahrnehmung, dass es in unserem Land nicht mehr rund läuft und die Politik nicht will und nicht kann, etwas gegen diesen Trend zu unternehmen.

Lasse ich die Umstände ausseracht, weshalb immer mehr die Billigdienstleistungen konsumieren, die unser Leben scheinbar auf erschwingliche Art erleichtern, so wundere ich mich doch darüber, warum viele das als Normal empfinden.

Denn von dem billigen Konsum profitieren die einen und die anderen zahlen dafür die Rechnung. Das mindeste was jeder von uns tun sollte, sich diesen Zusammenhang vor Augen zu führen. Jeder von uns sollte sich fragen, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, ständig diese Billigangebote zu nutzen. Unsere Augen davor zu verschliessen ist keine Lösung, denn dafür ist die Frage was unsere Arbeit wert ist, zu wichtig. Wenn das Diktum, dass unsere Arbeit immer zum billigsten Preis geleistet werden muss, dann bleibt diese Haltung in den Köpfen unserer Gesellschaft fest verankert. Als logische Konsequenz bleibt die steigende Altersarmut, die es ja in der Schweiz so nicht gibt.

Veränderung

Unsere Rechtfertigungen, dass das ja fast alle so machen und wir nur damit unser eigenes Gewissen beruhigen und die Herausforderungen auf später verschieben, kann und darf nicht zur Gewohnheit werden. Denn wir wissen, wozu wir mit unserem Konsumverhalten beitragen.

Ein weiterer Schritt wäre, auch wenn es hier zu weit führt, das Salär der Firmenmanager zu deckeln, um deren Blödsinn auch nicht noch gesondert zu bezahlen oder zu belohnen.

Ein weiteres wäre, was bestechend logisch erscheint, dass auch wir Konsumenten von Billigdienstleistungen, am eigenen Geldbeutel gepackt werden.

In Indonesien feiert seit ein paar Jahren die App «Go-Jek» sehr grosse Erfolge. Ursprünglich war sie nur ein App über die man Motorrollertaxis rufen konnte. Unterdessen kann man darüber das Mittagessen nach Hause bestellen oder andere Dienstleistungen ordern. Mit jeder Bezahlung, die über das Mobil geschieht, zahlt der Kunde einen Betrag auf das Altersvorsorgekonto des Unternehmens ein. Die Idee ist genial, da sie eine komplette Umstellung unseres Sozialversicherungssystem, einen riesigen Paradigmenwechsel gegenüber dem überlasteten Status quo, bedeutet. Da sich die Arbeitgeber immer mehr für die Erbringung der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitsleistungen verweigern, zahlt mit diesem System derjenige, der konsumiert. Im Grunde nach ist der Konsument der Arbeitgeber im eigentlichen Sinne.

Die Selbstausbeutung indem man billiger ist, wenn man auf die Altersvorsorge verzichtet, wäre mit dem oben skizzierten Modell überhaupt nicht mehr möglich.

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