Ist Eigentum und Besitz wirklich wichtig

Ich als Kundenberater treffe immer wieder in meinen Beratungen vor allem ältere Menschen an, die im Laufe ihres Lebens eine Menge an Dingen angehäuft haben. Sie bemerken, dass das Bewegen ihrer Sachen zu einer gewaltigen und mühsamen Aufgabe wird.

Als heutiger Kundenberater

Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Als ich zum Beispiel das Haus verkaufte, war ich gezwungen, mich von vielen Dingen zu trennen und war am Ende der Ausräum-Aktion sehr überrascht, wie voll die «Müll-Mulde» war. Und doch habe ich noch eine Unmenge an Dingen in Lagerräumen liegen, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Für mein tägliches Leben habe ich mich materiell reduziert, brauche all die Dinge nicht, die ich angehäuft habe und aber dennoch bleibt der Gedanke, dass ich noch an vielem «hänge» und es deshalb nicht weggeben kann.

Mein Verhalten ist ambivalent, denn ich habe mich immer wieder von meinem Besitz getrennt. Was aus den Blickwinkeln einiger meiner Kunden nur schwer als «vernünftig» gegründet werden kann. Es war reiner Luxus, in einem minimalistisch eingerichteten Haus zu leben und immer wieder die Einrichtung nach meinen Bedürfnissen anzupassen und die alte Einrichtung zu entsorgen. Menschen, die mit deutlich weniger Geld auskommen müssen, behalten das bisherige und funktionieren es um oder behalten den zusätzlichen Besitz, weil er ihnen vielleicht noch dienen könnte.

Was zum Beispiel geblieben ist, dass mich kompromisslos von Klamotten trenne, die ich über 1 ½ Jahre nicht mehr getragen habe. Ob noch unbenutzt oder es sehr teuer, spielen dabei keine Rolle.

Es drängt sich eine Frage auf

Ist der Verzicht auf den Konsum (Minimalismus) unsozial? Denn schaue ich mir unsere Gesellschaften genauer an, fällt mir etwas Gravierenderes auf: Der Verzicht auf den Konsum ist ökonomisch gesehen asozial!

Wir befreien uns von Dingen, die wir vermeintlich nicht benötigen und versuchen weniger zu kaufen, um so ein einfacheres, glücklicheres Leben zu führen. Und wie ich selbst weiss, erreicht man genau dies durch weniger Dinge, weniger Konsum und weniger Arbeit. Aber genau durch diese neuen Verhaltensweisen schaden wir Minimalisten unserer aktuellen Gesellschaft. Denn etwa die Hälfte der Einnahmen unseres Landes kommen stammen aus Arbeit und Konsum. Ich arbeite, also zahle ich Steuern. Und das erarbeitete Geld verkonsumiere ich und zahle wieder Steuern. Ein interessanter Aspekt, der sich hier auftut.

Vom Wahnsinn regiert

Vor 100 Jahren kam ein Haushalt mit gerade einmal 180 Gegenständen aus. 180 Dinge, die man vermutlich wirklich alle brauchte. Und heute? Nach einer Schweizer Umfrage besitzt ein Schweizer Haushalt durchschnittlich über 10’000 Gegenstände und es werden jährlich mehr. Vieler dieser Gegenstände brauchen wir aber nicht oder nur sehr selten. Aber warum kaufen wir Konsumenten so viele Dinge? Jeder halbwegs vernünftige Mensch weiss das, und doch tun die aller wenigsten etwas dagegen. Ein-kaufen ist zum Hobby geworden – klar doch, wenn der Alltag nicht viel Neues hergibt und uns auslaugt, brauchen wir den Kick und die Belohnung beim Einkaufen. Und was sollen wir schliesslich sonst mit unserem Geld machen? So viel Urlaub, dass wir es gänzlich für Reisen ausgeben könnten, haben wir schliesslich nicht.

Mangelende Zufriedenheit und der Diderot-Effekt

Vielleicht besteht unser grösster Fehler darin, dass wir oft meinen, dass die Befried-igung von Bedürfnissen über Konsum am Engpassfaktor des Einkommens oder eben des nicht vorhandenen Einkommens scheitert. Und gerade das führt zum Mangel unserer Zufriedenheit. Und dabei übersehen wir, dass Zeit die eigentliche Ressource ist. Zeit, die benötigt wird, um in der Lage zu sein, ein Ding zu nutzen, zu verwenden oder zu geniessen. Gleichzeitig reden und genüsslich Wein trinken geht nicht. Man kann auch nicht gleichzeitig im Urlaub im Tessin und zu Hause sein.

Viele von uns kennen das. Wir (Die Frau) haben gerade ein neues Sofa gekauft und stehen dann davor und bemerken, dass die alten Kissen regelrecht fehl am Platz sind, der Teppich schon fast unterwürfig zu Füssen eines neuen Möbels liegt und die Vor-hänge einfach nur durchschnittlich sind. Es überkommt uns eine diffuse Unruhe. Und dann geben wir uns ganz dem hin, was die Fachwelt als Diderot-Effekt bezeichnet. Zustande kommt dieser Effekt, wenn ein Mensch einen neuen Gegenstand kauft und dieser in ihm einen Zwang auslöst. Den Zwang, weitere Dinge zu kaufen und zu er-setzen, um wieder ein passendes Gesamtbild herzustellen. Der neue Gegenstand ist wie eine Erschütterung der alten Harmonie. Weil der Gegenstand aber höherwertig eingestuft wird als die bereits vorhandenen Dinge, löst er in uns eine grosse Unzufried-enheit und eine Kettenreaktion aus. Der französische Schriftsteller und Philosoph Denis Diderot ist verantwortlich dafür, dass der Diderot-Effekt seinen Namen trägt. In einem kurzen Essay aus dem Jahr 1772 schildert er seine persönlichen Erfahrungen. Der Titel des Essays: «Gründe, meinem alten Hausrock nachzutrauern.»

Eine Sehnsucht ist plötzlich präsent

Was ist Denis Diderot im Einzelnen passiert? Er war unerwartet an Geld gekommen schlenderte durch die Strassen und sah im Schaufenster einen mondänen Morgen-mantel. Er kaufte den Mantel und fühlte sich sofort stattlicher. Zu Hause angekommen musste er aber feststellen, dass der neue Mantel die alte Welt zum Kippen brachte. «Mein alter Hausrock und der ganze Plunder, mit dem ich mich eingerichtet hatte – wie gut passte eins zum andern!» Doch mit dem neuen Mantel kam der Zwang zur voll-ständigen Metamorphose: „Die Übereinstimmung ist dahin und mit ihr das richtige Mass, die Schönheit.“ Immer wieder fragte sich Diderot in Erinnerung an seinen alten Hausrock: «Warum habe ich ihn nicht behalten? Er passte zu mir, ich passte zu ihm.»

So richtig passt das Alte aber doch nicht mehr, wenn man sich auf etwas Neues einlässt, erklärt der Psychologe Ulrich Schmitz: «Ich überhole mich mit der neuen Anschaffung selbst. Eine geheime Sehnsucht ist durchgebrochen. Und nun muss ich alles in die neue Richtung umgestalten.» Ob Morgenmantel oder Schuhen: Mit den neuen Käufen wird auch einer neuen Seite Ausdruck verliehen. Man möchte etwas verkörpern, in das man noch nicht gänzlich hineingewachsen ist – äusserlich wie innerlich. Und weil man es haben und sein will, kann man das Ding auch nicht einfach weggeben, um die alte Harmonie zurückzugewinnen. Eine Sehnsucht, die vielleicht noch gar nicht so bewusst vor Augen war, ist dennoch plötzlich präsent.

Der Beginn der Konsumgesellschaft

Der Psychologe Ulrich Schmitz vermutet, dass ein Mensch wie Diderot vermutlich immer eine reiche und mondäne Identität gewünscht und sich nicht eingestanden hat. Und durch den Morgenmantel gerät er unter Zugzwang. Genauso verhält es sich auch 245 Jahre später bei jedem von uns. Das neue Ding als Symbol des neuen, cooleren Ichs und damit der neuen Selbsterfindung.

Das Sofa ist aber nur der Anfang. Es liegt in der Natur des Menschen, eine neue Harmonie herzustellen. Psychologe Ulrich Schmitz führt dieses Streben zurück auf die Gestaltpsychologie, in der es unter anderem darum geht, Sachen zu komplettieren.

Mieten oder kaufen

Seit Jahren bieten immer mehr Unternehmen Produkte, die man früher gekauft hat als Angebot zum Mieten an, wobei sich dieser Trend immer weiter verstärkt. Mit dem Sharing Economy hat das erst einmal nichts zu tun. Denn wenn man nicht nur sporadisch einen Artikel mietet, teilt man nur den Abschreibungsbetrag auf und stellt ihn ja nicht in der übrigen Zeit der Allgemeinheit zur Verfügung.

Doch in welchen Fällen lohnt sich das? Eigentlich nur dann, wenn das Ding nur für sehr kurze Zeit benötigt wird. Doch es gibt auch einen Bereich, in dem sich das Miet-modell insbesondere bei hochpreisigen Gegenständen lohnt: dann nämlich, wenn man als Unternehmen oder Freiberufler auf einen regelmässigen Cashflow geachtet werden muss oder ein Gerät nicht auf einen Rutsch als Ausgabe in den Büchern stehen soll. Oder dem Mitarbeiter, der nur für sechs Monate ein Notebook für die projektbezogene Nutzung braucht.

Einen Schritt weiter geht die Autosparte von Volvo, die ihre Elektroautos gar nicht zu Verkauf anbietet. Der Startup «Carvolution» aus der Schweiz hat diesen Trend erkannt und surft gerade auf der Welle des Umdenkens.

Konsum: «Teilen oder mieten statt kaufen» ist ein interessanter kurzer Artikel des Bundesamtes für Umwelt «BAFU» und gibt auf ihrer Seite weitere Hinweise, wie wir zukünftig besser mit uns und unseren Ressourcen umgehen können.

WordPress Lightbox